OXID eShop Erfahrungen: Hat das System Zukunft?

OXID eShop Erfahrungen – Neuausrichtung oder letzter Atemzug?


Lizenzkosten steigen, Partnerschaften werden gekündigt, Versionen vom Markt genommen; hat OXID wirklich noch eine Zukunft?

02.06.2022 | Daniel Kussin | OXID eSales

Ist OXID eSales noch eine zukunftssichere eCommerce Plattform oder riskantes Auslaufmodell?

Wir stellen uns aktuell selbst die Frage vor dem Hintergrund, dass OXID sich strategisch neu ausrichtet und auch sein Partnermodell entsprechend angepasst hat.

Hinweis: Wir waren nie eine offizielle Partneragentur, arbeiten aber seit ca. 10 Jahren mit OXID und wurden bisher ähnlich behandelt.

Die Entwicklung der letzten 10 Jahre:

  • In den vergangenen 5 Jahren sind sehr viele eCommerce Plattformen von OXID zum anderen Anbieter wie Shopware, Shopify oder Magento gewechselt und das Angebot an Dienstleister und Erweiterungen ist mit jeder neuen Version gesunken.
  • OXID hat in den letzten 10 Jahren viele Fehler bei strategischen Entscheidungen getroffen, die Softwarearchitektur und den Funktionsumfang von OXID 4/5 auf OXID 6 nur marginal verändert  (u.a. Dependency Injection und GraphQL wurden erst als Updates v6.2 und v6.3  hinzugefügt) und sehr viele langjährige Mitarbeiter:innen aus allen Bereichen das Unternehmen verlassen haben.
  • OXID hatte schon im Sommer 2020 in Deutschland nur noch einen Marktanteil von 9% hatte (Weltweit 3%) im Vergleich zu Marktanteile der Shopsysteme in Deutschland.

UPDATE: OXID hat am 30.05.2023 OXID eShop 7.0.0. veröffentlicht.

Empfehlung für kleine Unternehmen

Wer aus Kostengründen eine eCommerce Plattform selbst aufsetzen möchte, der sollte auf alle Fälle nicht OXID wählen, sondern Shopify o.ä. (Uns wurde am 02.06.2022 vom Team Lead Sales telefonisch mitgeteilt, dass OXID kein Interesse an Kleinstkunden oder OXID CE Lizenzen hat.)

UPDATE: OXID hat am 12.08.2022 bekannt gegeben, dass die OXID CE Lizenz ab dem 15.08.2022 kostenpflichtig ist, die Nutzungsgebühr beträgt vorerst netto 111,00 EUR pro Monat (Stand: 15.08.2022).

Ein Perspektivwechsel ist notwendig

Was auffällig ist, bei Suchbegriffen wie „Erfahrung mit OXID eSales“ oder „Zukunft von OXID eSales“ in Google & Co. , erhält man nahezu nur positives Feedback, wie zum Beispiel https://www.webshop-anbieter.de/review/oxid-eshop/ und dass diese Tests den Fokus auf niedrige Initialkosten setzen, wie z.B. dass die Software auch selbst installiert werden kann.

Und bei vermeintlich unabhängigen Bewertungsportalen wie z.B. OMR Reviews, stammt ein Großteil der positiven Bewertungen von OXID Solution Partnern wie Unit M, kosmonaut.io & Y-SQUARE.
Unser Blick auf OXID ist ein etwas anderer – Dazu muss man wissen, dass unsere Kunden einen durchschnittlichen eCommerce Umsatz von 5-25 Mio. Euro pro Jahr haben und dadurch sehr individualisierte eCommerce Systeme benötigen, die auf ihren gesamten Unternehmensprozess zugeschnitten sind.

Zusätzlich identifizieren wir uns sehr stark mit unseren Kunden und bieten unterschiedliche eCommerce Plattformen an, wobei wir immer auf die Unabhängigkeit unserer Kunden setzen, d.h. wir treten nicht als Zwischenhändler auf, so dass alle Verträge (z.B. mit OXID eSales) direkt abgeschlossen werden.

Aus dieser Position heraus versuchen wir immer die bestmögliche Lösung für unsere Kunden zu finden. Im Fall von OXID ist das in den letzten Jahren immer schwieriger geworden und oft war der rein wirtschaftliche Aspekt der entscheidende Faktor, denn er Umstieg auf eine andere eCommerce Plattform ist mit hohen Kosten im Back-Office verbunden, denn i.d.R. verändern sich viele Workflows und Anbindungen müssen komplett neu umgesetzt werden. – Das bedeutet in unserem Fall, dass die Entscheidung für OXID nicht wegen OXID war.

Die Frage „welches Shopsystem das Beste ist“, wurde schon unzählige Male beantwortet (u.a. von Steven Uster), aber im Grunde gibt es kein ideales Shopsystem, denn jede eCommerce Plattform hat viele Vorteile und ebenso viele Nachteile, deswegen muss die Frage lauten:

Welches Shopsystem ist das Beste für mich?

Diese Frage kann aber nur von einem Dienstleister beantwortet werden, der neutral ist (am besten eine Agentur, die unterschiedliche eCommerce Plattformen unterstützt) und sich vorab sehr genau mit den Unternehmensabläufen und Produkten auseinandergesetzt hat.

Tipp: Führen Sie hier unbedingt ein Vorprojekt durch, mit dem Ziel die passende Systeminfrastruktur für Ihr Projekt und Ihr Unternehmen zu finden und dieses Vorprojekt sollte möglichst ohne Vertriebsmitarbeiter stattfinden.

Zum Vergleich: Magento Commerce bietet seine Cloud-Lösungen erst ab einem eCommerce Umsatz von netto 1.000.000 Euro pro Jahr oder einem Unternehmensumsatz von 50.000.000 Euro pro Jahr an; Hintergrund ist, dass der Launch und Betrieb eines Onlineshop ähnliche Kosten verursacht wie der Betrieb eines Ladengeschäfts in der Innenstadt und dieses nur mit der entsprechenden Liquidität erfolgreich möglich ist.

Dadurch dass OXID, Shopware und Magento eine ähnliche Zielgruppe ansprechen, kann man die Vorgabe von Magento Commerce auch auf diese Plattformen übertragen.

Angenommen die Entscheidung für OXID ist bereits gefallen (z.B. es wird schon seit mehreren Jahren verwendet), was spricht dafür an OXID festzuhalten?

Strategische Neuausrichtung aus Sicht von OXID

OXIDs Aussage, dass sie sich im gehobenen Mittelstand etablieren wollen mit Schwerpunkt B2B:

OXID wird künftig branchenspezifische Commerce-Cloud-Lösungen anbieten. OXID eSales, Anbieter der gleichnamigen E-Commerce-Software, richtet sich strategisch neu aus. Der Fokus soll künftig auf digitalen Vertriebslösungen für ausgewählte Branchen liegen. Die OXID-Cloud, ein Plattform-as-a-Service, soll zur Betriebsumgebung für spezifische B2B-Märkte werden. Den Anfang machen Cloud-Commerce-Lösungen für die Medizintechnik- und die Maschinenbau-Ersatzteilbranche.

Quelle: https://www.internetworld.de/shop-technologien/e-business/oxid-esales-neu-positioniert-2660902.html

Das bedeutet für alle OXID basierten eCommerce Plattformen, die nicht aus dem Bereich B2B oder nicht aus einer der von OXID ausgewählten Branchen stammen, kein Zukunftsprodukt mehr nutzen. – (Randnotiz: Alle unsere Kontakte bei OXID betonen immer wieder, dass die neue strategische Ausrichtung bisher sehr erfolgreich ist, allerdings wurde uns bis heute noch kein neuer Referenzkunde genannt; nach Eigenrecherche dürfte der Letzte Servoprax Mitte 2021 sein.)

Entscheidungsfaktoren für Onlineshop-Betreiber

Welche Faktoren würden ansonsten für OXID sprechen bzw. was sollten einem Onlineshop-Betreiber besonders wichtig sein:

  1. Innovation: Grundlage für jeden eCommerce Erfolg die Auffindbarkeit, d.h. wer bei Google & Co. nicht sofort gefunden wird, der wird mit seiner eigenen Plattform keinen Erfolg haben, und Google ändert seinen Suchalgorithmus laufend zuletzt die s.g. Core Web Vitals, d.h. wenn der Softwareanbieter nicht laufend in die Innovation der Software investiert, dann ist das ein massiver Wettbewerbsnachteil.
    Wie bereits erwähnt, hat OXID in den letzten 5 Jahren nur marginale Verbesserungen der Software durchgeführt, ein Headless Frontend wie z.B. von Magento oder Shopware fehlt völlig. Lt. OXID Sales Team stimmt das nicht (siehe https://www.oxid-esales.com/shopsystem/pimp-my-shop/oxid-headless-api/, aber eine offene Demo o.ä. ist bisher nicht verfügbar, allerdings bietet OXID regelmäßig Webinare an, die sich auch mit dem Thema GraphQL beschäftigen.)
  2. Support: OXID bietet einen kostenpflichtigen Support an, der die Infrastruktur – Basis-Software mit Standard-Modulen und ggf. Server bei SaaS Vertrag umfasst. Sobald aber Drittanbieter Module oder Individualisierungen dazukommen, greift der Support nicht mehr. Allgemein hat sich der Support in den letzten 24 Monaten stark verschlechtert (z.B. warten wir seit 14 Tagen auf eine Rückmeldung, wie bisherige Amazon Pay Bestellungen durch das neue Amazon Pay Modul verwaltet werden oder ob diese Bestellungen in Zukunft keine Zahlungsinformationen mehr beinhalten?).
    Integraler Bestandteil einer eCommerce Plattform sind Solution Partner, d.h. Systemhäuser, Agenturen oder Freelancer, die auf OXID eSales spezialisiert sind und für die Kunden Individualisierungen vornehmen (z.B. Designumsetzungen, Anbindungen usw.). OXID betreibt dazu ein kostenpflichtiges Partner-Programm, das u.a. Schulungen, Leads und Provisionen beinhaltet, aber auch das Recht auf Entwicklerlizenzen beinhaltet hat. OXID hat in den vergangen Monaten viele Partner gekündigt, wieso können wir nicht sagen, aber auch befreundete Agenturen, die betroffen sind, haben keine Erklärung erhalten.
    Aus den Kündigungen ergibt sich aber ein mittelfristiges Problem, es wird nur noch sehr wenige Solution Partner geben, die bei Problemen zur Verfügung stehen.
    Des Weiteren ist die bisherige Community mit dem Weggang von Marco Steinhaeuser nahezu am Ende und eine vernünftige Entwickler Dokumentation ist nicht vorhanden.
  3. Flexibilität: Egal welchen Umsatz ein Unternehmen erwirtschaftet, sollten die Ressourcen für die Infrastruktur möglichst effizient eingesetzt werden, d.h. die eCommerce Plattform sollte möglichst viele Standardfunktionalitäten beinhalten, zum einen um die Softwarequalität möglichst hoch zu halten und zum anderen müssen die Funktionalitäten nicht für jedes Projekt neu hinzugefügt werden. An dieser Stelle unterscheidet sich OXID von allen anderen eCommerce Systemen sehr stark, unterschiedliche Produkt- oder Attribut-Typen fehlen komplett, genauso wie eine REST API.
    Für die Erweiterung von OXID gibt es demnach nur zwei Optionen:
    • Eigenentwicklungen (DIY): Diese Option ist i.d.R. die Beste, weil alle individuellen Anforderungen berücksichtigt werden können, aber auch sehr kostenintensiv, bei einem durchschnittlichen Entwicklerstundensatz von netto 125 Euro. (BTW. Nearshoring ist bei OXID nahezu unmöglich, weil es einfach kein Knowhow gibt.)
    • (Drittanbieter) Module, die insbesondere bei häufigen Anforderungen sinnvoll sind (z.B. Zahlungsanbieter, Marktplatzanbindungen usw.), aber auch hier gibt es einen großen Nachteil im Vergleich zu anderen eCommerce Systemen, denn aufgrund der geringen Anzahl an Entwicklern gibt es nur sehr wenig Module und OXID will das nicht fördern, weil sie darin keinen Vorteil für sich sehen (Aussage vom 02.06.2022).

Anmerkung: Unser Kundenkreis gehört zur bevorzugten Zielgruppe von OXID und entgegen der Annahme von OXID, bevorzugen unsere Kunden sehr wohl Drittanbieter Module von Premium Entwicklern, die viele hunderte Installationen eines Moduls haben, insbesondere wenn diese Module schon über Jahre weiterentwickelt werden, weil dadurch die Qualität immer weiter gesteigert wird.

Hinweis: In den vergangenen Jahren gab es immer wieder gesetzliche oder technische Änderungen, wie z.B. das EU-OSS Verfahren, Omnibus-Richtlinie oder die Einstellung von Universal Analytics, in diesen und vielen weiteren Fällen würde man erwarten, dass OXID dafür Lösungen bereitstellt, weil es jeden Onlinehändler betrifft, aber OXID stellt Lösungen in den letzten 24 Monaten gar nicht oder erst sehr spät zur Verfügung.

Achtung: Im OXID Umfeld werden sehr viele Module und Eigenentwicklungen von den Anbietern mit Zend Guard o.ä. verschlüsselt, um den Quellcode zu schützen, OXID rät seit Version 6.0 von dieser Vorgehensweise ab, trotzdem ist das i.d.R. der Fall und führt zu einer starken Abhängigkeit vom Dienstleister. Rechtlich sind die Dienstleister aufgrund des deutschen Urheberrechts auf der sicheren Seite. – Durch die Verschlüsselung kann kein Dritter den Quellcode einsehen oder bearbeiten.

Zur Kostenfrage

Die Kosten für OXID eSales sind aus unserer Sicht zu vernachlässigen, da sie ähnlich hoch sind wie bei allen anderen Anbieter inkl. Shopify, wenn man ein Umsatzvolumen von 5 Mio. Euro und mehr zu Grunde legt.
Für welches Shopsystem man sich auch entscheidet, der Aufwand beläuft sich immer auf 800 – 1.500 Stunden und mehr, ob zusätzlich ein paar tausend Euro für eine Softwarelizenz hinzukommen oder nicht, wird am Ende die Entscheidung nicht beeinflussen, hier ist es eher die Verteilung der Arbeitslast.
OXID hat in den vergangenen 12 Monaten die Lizenzkosten deutlich angehoben, was völlig nachvollziehbar ist, denn mit einer Buyout-Lizenz von ca. netto 3.000 Euro und ca. netto 90 Euro/Monat (abhängig der Lizenzkosten) für den Support, kann eine Software nicht langfristig weiterentwickelt werden. Ein Umsatzmodell wie Shopify ist aus unserer Sicht nicht der richtige Ansatz für eine eCommerce Plattform wie OXID.

Der große Unterschied zwischen Shopify und OXID ist, dass keine Out-of-the-Box Lösung mit Instant-Support existiert, sondern nur eine Basis eCommerce Plattform für deren Betrieb ein Dienstleister benötigt wird, der nach unseren Erfahrungen zusätzlich netto 3.500 Euro im Monat kostet.
Auf Basis unserer nahezu 10-jährigen OXID Erfahrung belaufen sich die Initialkosten für einen OXID eShop in der Professional Version auf netto 50 – 80 TEUR (nur Solution Partner Kosten).

Vorteile von OXID

Selbstverständlich existieren einige Gründe, wieso unsere Kunden sich für OXID entschieden haben:

  • Anbieter aus Deutschland: Das Shopsystem wurde für den deutschen Markt entwickelt und richtet sich nach rechtlichen Rahmenbedingungen. Es existiert eine Integration zu SAP Produkten und der Fokus liegt auf den in Deutschland präferierten Zahlungsmethoden. Auch wenn es um Cloudhosting geht, hat das datenschutzrechtliche Vorteile
  • Layout & Design: Sowohl in Frontend als auch im Backend ist die Bedienung nutzerfreundlich und einfach. Der Checkoutvorgang bildet alle wichtigen Informationen auf einen Blick ab, auch auf Mobilgeräten.
  • Internationalisierung: OXID kann problemlos in mehreren Sprachen betrieben werden. Für alle Versionen existieren entsprechende Sprachpakete, die im Frontend vom Nutzer ausgewählt werden können.
  • Entwicklerfreundlich: Die Entwicklung von Erweiterungen geht gut von der Hand. Man findet hier eine gut durchdachtes Framework und Datenbankstruktur.

Unser Re­sü­mee zur Zukunftsfrage

Fazit: Obwohl wir aus Leidenschaft mit OXID arbeiten und wir OXID als Unternehmen alles Gute wünschen, haben wir kein gutes Gefühl, wenn wir an die Zukunft von OXID denken. Eine moderne eCommerce Software muss innovativ wie commercetools oder Spryker sein, eine Community wie Adobe Commerce (ehem. Magento) und Shopware haben und von einem Team vorangetrieben werden, dass nicht aus Vertrieblern sondern Strategen besteht, die über die nötigten finanziellen Mittel verfügen, ihre Ziele auch gegen Widerstände umzusetzen. Deswegen müssen wir uns wohl schweren Herzens eingestehen, dass OXID keine Zukunft mehr hat. Trotzdem hoffen wir, dass wir uns irren und bleiben OXID vorerst treu.